Vor etwas über einem Jahr, am 2. Juni 2020, veröffentlichte der Twitter-Account Deutsche Bahn Personenverkehr @DB_Bahn einen Tweet, in dem das Team ankündigte, in einer dreimonatigen Testphase die eigene Twitter-Community, also diejenigen Kunden, die mit dem Unternehmen auf Twitter interagieren, zu duzen.

Bis zum 05.06.2020 hatte der Account 111.385 Follower,: der Tweet wurde bis zu diesem Zeitpunkt von 4.431 Accounts geliked, 138mal retweetet und führte zu 1.028 Kommentaren. Der Thread, eine abendfüllende Lektüre, ist sowohl stilistisch als auch inhaltlich breit gefächert; die Reaktion des Community-Management-Teams der @DB_Bahn differenziert und einer kurzen Analyse wert.

Humorlose Kritik einiger User, die Bahn solle sich doch lieber auf pünktliche Fahrten konzentrieren, als Kunden peinlicherweise zu duzen (so etwa @PhilipPickert) provozierten weitere kritische Reaktionen gegenüber diesem User, nicht jedoch gegenüber der Bahn. Auf diese reagierte das Community Management-Team nicht, da dies meist schon durch kritische Antworten anderer User erledigt wurde; Antworten, aus denen sich in der Folge weitere Threads ergaben.

Ironische und im Grunde wohlwollende Antworten wie etwa „Ich möchte gerne ge-ihrzt [sic] werden! (@hex2, 02.06.2020) werden jedoch aufgegriffen und in einem ähnlichen Sprachregister beantwortet: „Natürlich, Ihre Penisenz“ [sic] (DB Personenverkehr, Community Manager /ti). Alle ca. 5-10 Antworten auf den ursprünglichen Tweet antwortet einer der DB Personenverkehr-Community Manager, stets in angemessenem Tonfall.

Die ironisch genutzte Sprachebene „Na endlich! Habe mich schon gefragt, wie lange ich noch mit euch durch die Lande gondeln muss, bis ihr mir das Du anbietet! Cheers, Bahn-Bros!“ (@kommunautin, 02.06.2020) wird mit „Cheers, Bro.“ kommentiert (DB Personenverkehr, /jn). Ein korrigierender Hinweis der @kommunautin am 03.06.2020, dass die Userin eine ‚Sis‘, also weiblich, sei, wird umgehend mit „Hey Sis“ plus freundlichem Smiley beantwortet und damit die Gender-Falle elegant umschifft.

Dieser Thread ist ein gelungenes Beispiel von Community Management: genaues Beobachten, aber kein massives Eingreifen in die Diskussion, die der eigene Tweet laut eigener Aussage anregen sollte. Jeder Kommentar ist im Tonfall an den Sprachstil – auch den Grad der Ironie – des jeweiligen Users angepasst. Bittere Vorwürfe werden hingenommen und nicht kommentiert. Die Community funktioniert sogar selbstregulierend: in den meisten Fällen werden negative Kommentare bereits von anderen Usern beantwortet, im Ton zurechtweisend, aber auch beschwichtigend.

Einer der User, @TimTimowitsch verweist am 02.06.2020 auf die äußerst erfolgreiche BVG (Berliner Verkehrsgesellschaft)-Kampagne, deren mutige Kommunikations- und Social Media-Strategie hier eventuell Pate gestanden haben könnte: „@BVG_Kampagne, lasst ihr abschreiben?“ Dieser Kommentar trifft die Sachlage genau: Wenige Monate zuvor, im Januar 2020, war Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende der BVG an die Spitze der DB Cargo gewechselt. Am 01.06.2020 folgte ihr Marketingchef Martell Beck, der in Zusammenarbeit u.a. mit der Werbeagentur Jung von Matt die vom User erwähnte BVG-Kampagne kreiert hatte, und seit Jahren als Vorzeigeprojekt moderner digitaler Kommunikation gilt. Die professionelle Arbeit des DB_Bahn-Communitymanagements fügt sich in diese Strategie nahtlos ein.